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Stra­te­gi­sche Frame­works ver­spre­chen Wege durch Kri­sen. Doch zwi­schen Theo­rie und Trans­for­ma­ti­on klafft eine Lücke, die nur weni­ge zu über­brü­cken wagen. Alfred Herr­hau­sen zeig­te, wie schwer es selbst mäch­ti­ge Visio­nä­re haben – und war­um ech­te Ver­än­de­rung so sel­ten gelingt.


Die lang­le­bi­gen Pri­vat­ban­ken Euro­pas erzäh­len eine fas­zi­nie­ren­de Geschich­te der Anpas­sungs­fä­hig­keit. Wäh­rend deut­sche Insti­tu­te in Serie schei­ter­ten, navi­gier­ten Roth­schild, War­burg oder Pic­tet durch Jahr­hun­der­te vol­ler Kri­sen, Krie­ge und Umbrü­che. Ihre Erfolgs­for­mel schien sim­pel: radi­ka­le Fle­xi­bi­li­tät. Sie wech­sel­ten Geschäfts­fel­der wie ande­re die Klei­dung, ver­leg­ten Schwer­punk­te von Lon­don nach Paris nach New York, trans­for­mier­ten sich von Han­dels­häu­sern zu Invest­ment­ban­ken zu Wealth Managern.

Die­se Erfolgs­ge­schich­ten inspi­rie­ren stra­te­gi­sche Frame­works, die ver­schie­de­ne Ent­wick­lungs­pfa­de für moder­ne Ban­ken auf­zei­gen. Com­mu­ni­ty Ban­king, digi­ta­le Trans­for­ma­ti­on, Nischen­spe­zia­li­sie­rung – die Optio­nen schei­nen viel­fäl­tig. Doch zwi­schen stra­te­gi­scher Theo­rie und bank­be­trieb­li­cher Rea­li­tät klafft eine oft über­se­he­ne Lücke: die Transformationsfreiheit.

Die ver­ges­se­ne Dimension

Was den meis­ten Frame­works fehlt, ist eine sys­te­ma­ti­sche Ana­ly­se der struk­tu­rel­len Beweg­lich­keit. Wie frei ist eine Bank wirk­lich? Wel­che Fes­seln hin­dern sie an radi­ka­len Anpas­sun­gen? Die jahr­hun­der­te­al­ten Pri­vat­ban­ken besa­ßen die­se Frei­heit – sie waren meist in Fami­li­en­hand, regio­nal unge­bun­den, regu­la­to­risch wenig ein­ge­schränkt. Moder­ne Insti­tu­te ope­rie­ren hin­ge­gen in einem Geflecht aus Beschränkungen.

Genos­sen­schafts­ban­ken sind durch Sat­zung regio­nal gefes­selt, Spar­kas­sen dem öffent­li­chen Auf­trag ver­pflich­tet. Akti­en­ban­ken müs­sen Quar­tals­er­geb­nis­se lie­fern, inter­na­tio­na­le Insti­tu­te navi­gie­ren durch Regu­lie­rungs­la­by­rin­the. Jahr­zehn­te­lang gewach­se­ne IT-Sys­te­me schaf­fen Pfad­ab­hän­gig­kei­ten, eta­blier­te Kun­den­be­zie­hun­gen und Geschäfts­mo­del­le erzeu­gen Träg­heit. Die bes­te Stra­te­gie schei­tert, wenn die struk­tu­rel­len Vor­aus­set­zun­gen für ihre Umset­zung fehlen.

Solan­ge die­se Trans­for­ma­ti­ons­frei­heit nicht ana­ly­siert wird, kön­nen Frame­works Ban­ken in die Irre füh­ren. Sie zei­gen ver­lo­cken­de Wege auf, die für man­che Insti­tu­te schlicht­weg ver­schlos­sen sind. Com­mu­ni­ty Ban­king ist eine legi­ti­me Stra­te­gie – aber nur für Insti­tu­te in wirt­schaft­lich sta­bi­len Regio­nen. Digi­ta­le Trans­for­ma­ti­on funk­tio­niert – aber nicht mit Lega­cy-Sys­te­men aus den 1980ern.

Die Macht der Persönlichkeit

Doch selbst struk­tu­rel­le Fes­seln sind nicht unüber­wind­bar. Ent­schei­dend sind oft die han­deln­den Per­so­nen und die Situa­ti­on. Kri­sen schaf­fen neue Hand­lungs­spiel­räu­me, visio­nä­re Füh­rung kann aus Zwän­gen Chan­cen machen. Die Roth­schilds nutz­ten ihre Trans­for­ma­ti­ons­frei­heit, weil sie Per­sön­lich­kei­ten hat­ten, die radi­ka­le Ent­schei­dun­gen tref­fen konn­ten und wollten.
Hier zeigt sich das wah­re Pro­blem: Sol­che Per­sön­lich­kei­ten sind extrem sel­ten. Und sie haben es sehr schwer.

Alfred Herr­hau­sen ver­kör­per­te die­se sel­te­ne Kom­bi­na­ti­on aus Visi­on und Mut zur radi­ka­len Ver­än­de­rung. Als Vor­stands­spre­cher der Deut­schen Bank woll­te er das Insti­tut fun­da­men­tal trans­for­mie­ren – weg vom tra­di­tio­nel­len deut­schen Bank­ge­schäft hin zu einer glo­ba­len Invest­ment­bank. Er dach­te in Jahr­zehn­ten statt in Quar­ta­len, erkann­te Trends vor ande­ren, war bereit, eta­blier­te Struk­tu­ren zu zerschlagen.

Doch selbst Herr­hau­sen, aus­ge­stat­tet mit enor­mer Macht­fül­le, stieß auf mas­si­ve Gren­zen. Sei­ne Visi­on einer grund­le­gend ver­än­der­ten Welt­wirt­schafts­ord­nung, sei­ne Plä­ne zur Schul­den­er­leich­te­rung für Ent­wick­lungs­län­der, sei­ne radi­ka­len Reform­ideen bedroh­ten zu vie­le eta­blier­te Inter­es­sen. Er wur­de iso­liert, ange­grif­fen – und schließ­lich ermordet.

Die Kos­ten der Transformation

Herr­hau­sens tra­gi­sches Schick­sal illus­triert eine unbe­que­me Wahr­heit: Visio­nä­re Ban­ken­füh­rer zah­len oft einen hohen per­sön­li­chen Preis. Sie wer­den bekämpft von inter­nen Wider­stän­den, exter­nem Druck, eta­blier­ten Geschäfts­part­nern. Sie ris­kie­ren Repu­ta­ti­on, Kar­rie­re, manch­mal sogar ihr Leben. Wer will schon die­se Kos­ten tragen?

Das erklärt, war­um ech­te Trans­for­ma­ti­ons­per­sön­lich­kei­ten so sel­ten sind. Die meis­ten Ban­ker wäh­len den siche­re­ren Weg der gra­du­el­len Anpas­sung. Sie opti­mie­ren bestehen­de Pro­zes­se, statt Geschäfts­mo­del­le zu revo­lu­tio­nie­ren. Sie ver­wal­ten Struk­tu­ren, statt sie zu spren­gen. Das Ergeb­nis: stra­te­gi­sche Mit­tel­mä­ßig­keit in einer Zeit, die radi­ka­le Ver­än­de­run­gen erfordert.

Zwi­schen Frame­work und Realität

Die jahr­hun­der­te­al­ten Pri­vat­ban­ken zei­gen: Kri­sen sind über­wind­bar, wenn man radi­kal genug den­ken und han­deln kann. Sie bewei­sen auch: Die­se Radi­ka­li­tät braucht sowohl struk­tu­rel­le Frei­heit als auch außer­ge­wöhn­li­che Per­sön­lich­kei­ten, die bereit sind, die­se zu nutzen.

Moder­ne stra­te­gi­sche Frame­works kön­nen bei der Weg­fin­dung hel­fen – aber sie kön­nen weder struk­tu­rel­le Fes­seln spren­gen noch visio­nä­re Füh­rung erset­zen. Sie zei­gen mög­li­che Pfa­de auf, aber ob die­se beschrit­ten wer­den, hängt von der kon­kre­ten Kon­stel­la­ti­on aus Situa­ti­on, Struk­tu­ren und Akteu­ren ab.

Viel­leicht ist das die wich­tigs­te Leh­re aus dem Kon­trast zwi­schen erfolg­rei­chen Jahr­hun­der­te-Ban­ken und aktu­el­len Kri­sen: Die bes­te Stra­te­gie funk­tio­niert nur mit aus­rei­chen­der Trans­for­ma­ti­ons­frei­heit und dem Mut, sie zu nut­zen. Bei­des ist sel­ten. Und bei­des hat sei­nen Preis.

Solan­ge das Ban­king von Men­schen geführt wird, die den per­sön­li­chen Preis radi­ka­ler Ver­än­de­run­gen scheu­en, blei­ben auch die krea­tivs­ten Frame­works wir­kungs­los. Erst die Bereit­schaft zur Ein­sam­keit des Visio­närs, dann das Ban­ken­wun­der. Die Trans­for­ma­ti­on beginnt nicht mit der Stra­te­gie – sie beginnt mit dem Mut, sie umzusetzen.