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Die Euro­päi­sche Zen­tral­bank warnt vor “bei­spiel­lo­sen Schock­ri­si­ken” für Ban­ken und lässt gleich­zei­tig die Kapi­tal­an­for­de­run­gen unver­än­dert. BaFin und Bun­des­bank lie­fern wider­sprüch­li­che Risi­ko­ein­schät­zun­gen zu den­sel­ben Insti­tu­ten. Die deut­sche und euro­päi­sche Ban­ken­auf­sicht hat die Sub­stanz­re­gu­lie­rung durch Kom­mu­ni­ka­ti­ons­re­gu­lie­rung ersetzt – ein sys­te­mi­sches Ver­sa­gen mit Methode.


In die­ser Woche ver­öf­fent­lich­te die Euro­päi­sche Zen­tral­bank eine bemer­kens­wer­te War­nung[1]Risi­ko “hoch wie nie zuvor”: EZB warnt Ban­ken vor bei­spiel­lo­sen Schocks: Das Risi­ko extre­mer Ereig­nis­se für euro­päi­sche Ban­ken sei “so hoch wie nie zuvor”, geo­po­li­ti­sche Span­nun­gen, Han­dels­kon­flik­te und Kli­ma­kri­sen wür­den struk­tu­rel­le Schwach­stel­len ver­schär­fen. Die Insti­tu­te soll­ten ihre Wider­stands­fä­hig­keit stär­ken, mahn­te die Auf­sicht in unge­wöhn­lich schar­fem Ton. Gleich­zei­tig teil­te die EZB mit, dass die Eigen­ka­pi­tal­an­for­de­run­gen für 2025 weit­ge­hend unver­än­dert blei­ben. Die har­te Kern­ka­pi­tal­quo­te der beauf­sich­tig­ten Ban­ken liegt bei kom­for­ta­blen 15,8 Pro­zent, die Pro­fi­ta­bi­li­tät ist his­to­risch hoch, die Liqui­di­täts­puf­fer sind robust.

Die­ser Wider­spruch ist kein kom­mu­ni­ka­ti­ver Aus­rut­scher, son­dern sym­pto­ma­tisch für ein grund­le­gen­des Pro­blem der euro­päi­schen und deut­schen Ban­ken­auf­sicht: Die Regu­lie­rungs­be­hör­den pro­du­zie­ren Risi­kor­he­to­rik ohne regu­la­to­ri­sche Kon­se­quen­zen. Sie war­nen vor Gefah­ren, gegen die sie nicht inter­ve­nie­ren kön­nen oder wol­len. Sie for­dern Maß­nah­men von Insti­tu­ten, deren Umset­zung sie durch wider­sprüch­li­che Vor­ga­ben erschwe­ren. Das Ergeb­nis ist ein drei­glied­ri­ges Auf­sichts­thea­ter, bei dem EZB, BaFin und Bun­des­bank jeweils eige­ne, oft inko­hä­ren­te Nar­ra­ti­ve pro­du­zie­ren, ohne dass dar­aus eine kon­sis­ten­te Regu­lie­rungs­pra­xis folgt.

Der ers­te Wider­spruch: Maxi­ma­le War­nung bei mini­ma­ler Intervention

Die EZB-War­nung ist bemer­kens­wert in ihrer Dras­tik. Sie spricht von einer “his­to­risch bei­spiel­lo­sen Risi­ko­ak­ku­mu­la­ti­on” und iden­ti­fi­ziert eine “toxi­sche Mischung” exter­ner Schocks. Geo­po­li­ti­sche Risi­ken, Han­dels­krie­ge, Kli­ma­wan­del, demo­gra­fi­scher Wan­del und tech­no­lo­gi­sche Umbrü­che wür­den die Ban­ken in einer Wei­se bedro­hen, die qua­li­ta­tiv neu sei. Das ist ein Para­dig­men­wech­sel: Über Jahr­zehn­te fokus­sier­te sich die Ban­ken­auf­sicht auf quan­ti­fi­zier­ba­re finan­zi­el­le Risi­ken wie Kredit‑, Markt- und Liqui­di­täts­ri­si­ken. Geo­po­li­ti­sche Fak­to­ren gal­ten als exter­ne Schocks, nicht als eigen­stän­di­ge Risikokategorie.

Die regu­la­to­ri­sche Kon­se­quenz die­ser alar­mis­ti­schen Ein­schät­zung? Prak­tisch kei­ne. Die Eigen­ka­pi­tal­an­for­de­run­gen blei­ben sta­bil. Als neue Maß­nah­me kün­digt die EZB ledig­lich “Rever­se-Stress­tests” an: Die Auf­sicht gibt hypo­the­ti­sche Kapi­tal­ver­lus­te vor, die Insti­tu­te sol­len Sze­na­ri­en ent­wi­ckeln, die zu sol­chen Ver­lus­ten füh­ren könn­ten. Das ist metho­disch inter­es­sant, regu­la­to­risch aber fol­gen­los, solan­ge aus den Ergeb­nis­sen kei­ne Kapi­tal­an­for­de­run­gen abge­lei­tet werden.

Die Begrün­dung der EZB für die­se Zurück­hal­tung ist ent­lar­vend: Die Ban­ken stün­den der­zeit gut da, die Kapi­tal­puf­fer sei­en robust, die Pro­fi­ta­bi­li­tät stark. Aber genau das ist der Punkt. Eine anti­zy­kli­sche Regu­lie­rung müss­te in Hoch­kon­junk­tur­pha­sen die Anfor­de­run­gen ver­schär­fen, um Puf­fer für Kri­sen­zei­ten auf­zu­bau­en. Statt­des­sen prak­ti­ziert die EZB eine pro­ky­kli­sche Kom­mu­ni­ka­ti­on: Man warnt, wenn es den Insti­tu­ten gut geht, inter­ve­niert aber nicht, weil es ihnen gut geht.

Der zwei­te Wider­spruch: Risi­ko­war­nung und Instrumentenbeschränkung

Die EZB-War­nung von die­ser Woche steht nicht iso­liert, son­dern fügt sich in eine Serie von Auf­sichts­si­gna­len ein, die in ihrer Gesamt­heit wider­sprüch­lich wir­ken. Bereits Anfang Novem­ber berich­te­te das Han­dels­blatt über eine geplan­te kri­ti­sche Stel­lung­nah­me der EZB zu syn­the­ti­schen Risi­ko­über­tra­gun­gen[2]EZB warnt Ban­ken vor Risi­ken durch spe­zi­el­le Risi­ko­pa­pie­re. Die­se soge­nann­ten Syn­the­tic Signi­fi­cant Risk Trans­fers (SRTs) ermög­li­chen Ban­ken, Kre­dit­ri­si­ken aus ihrer Bilanz zu trans­fe­rie­ren und damit Eigen­ka­pi­tal frei­zu­set­zen. Das Volu­men die­ser Trans­ak­tio­nen ist im ers­ten Halb­jahr 2025 um 85 Pro­zent gestie­gen – ein kla­res Indiz dafür, dass Insti­tu­te die­ses Instru­ment inten­siv zur Bilanz­steue­rung nutzen.

Laut den Medi­en­be­rich­ten argu­men­tiert die EZB, dass SRTs Ban­ken in Zei­ten von Markt­stress einem Refi­nan­zie­rungs­ri­si­ko aus­set­zen könn­ten. Sie for­dert die Insti­tu­te auf, statt­des­sen ver­mehrt “Cash SRTs” zu nut­zen, bei denen die zugrun­de­lie­gen­den Kre­di­te tat­säch­lich aus der Bilanz ver­schwin­den. Das ist regu­la­to­risch nach­voll­zieh­bar, führt aber zu einem Span­nungs­ver­hält­nis mit der Novem­ber-War­nung: Die Insti­tu­te sol­len sich gegen unkal­ku­lier­ba­re exter­ne Schocks wapp­nen, wäh­rend die Auf­sicht gleich­zei­tig ihre bewähr­ten Risi­ko­trans­fer-Instru­men­te kri­tisch hinterfragt.

Die Logik die­ser Dop­pel­bot­schaft erschließt sich nur, wenn man die ver­schie­de­nen Auf­sichts­li­ni­en der EZB als par­al­le­le, nicht not­wen­dig koor­di­nier­te Kom­mu­ni­ka­ti­ons­strö­me begreift. Die Ban­ken­auf­sicht warnt vor geo­po­li­ti­schen Risi­ken, die Sta­bi­li­täts­ab­tei­lung kri­ti­siert Bilanz­op­ti­mie­rung durch SRTs – ohne dass erkenn­bar wäre, wie Insti­tu­te bei­de Erwar­tun­gen gleich­zei­tig erfül­len sol­len. Das Ergeb­nis ist regu­la­to­ri­sche Ver­un­si­che­rung: Die EZB signa­li­siert “Wach­sam­keit” auf ver­schie­de­nen Ebe­nen, ohne alter­na­ti­ve Steue­rungs­in­stru­men­te anzu­bie­ten oder die Wider­sprü­che zwi­schen den ver­schie­de­nen Auf­sichts­li­ni­en aufzulösen.

Der drit­te Wider­spruch: Die Frag­men­tie­rung der deut­schen Aufsicht

Auf natio­na­ler Ebe­ne ver­schärft sich die Inko­hä­renz durch die Par­al­lel­struk­tu­ren von BaFin und Bun­des­bank. Bei­de Insti­tu­tio­nen bewer­ten die­sel­ben Insti­tu­te, kom­men aber regel­mä­ßig zu diver­gie­ren­den Ein­schät­zun­gen[3]Robus­te Ban­ken, fra­gi­les Sys­tem: Der Wider­spruch deut­scher Finanz­auf­sicht. Die Bun­des­bank ist tra­di­tio­nell stren­ger in ihren Risi­ko­be­wer­tun­gen, die BaFin prag­ma­ti­scher und stär­ker an der Auf­recht­erhal­tung der Funk­ti­ons­fä­hig­keit orientiert.

Bei Insti­tu­ten wie der Deut­schen Pfand­brief­bank führt das zu sys­te­ma­ti­schen Wider­sprü­chen: Die Bun­des­bank sieht erheb­li­che Risi­ken im Gewer­be­im­mo­bi­li­en­port­fo­lio und for­dert höhe­re Risi­ko­vor­sor­ge, die BaFin attes­tiert dem Insti­tut aus­rei­chen­de Kapi­ta­li­sie­rung. Bei­de Ein­schät­zun­gen flie­ßen in die EZB-Bewer­tung ein, ohne dass geklärt wäre, wel­che Sicht­wei­se maß­geb­lich ist. Für die beauf­sich­tig­ten Insti­tu­te bedeu­tet das fak­tisch: Sie navi­gie­ren zwi­schen wider­sprüch­li­chen Erwar­tun­gen, ohne ver­läss­li­che Ori­en­tie­rung zu haben.

Die­se Frag­men­tie­rung ist kein Zufall, son­dern struk­tu­rell bedingt. Die Bun­des­bank hat kei­ne for­ma­le Ent­schei­dungs­kom­pe­tenz mehr in der Ban­ken­auf­sicht, agiert aber wei­ter­hin als maß­geb­li­cher Akteur durch ihre Ana­ly­sen und Stel­lung­nah­men. Die BaFin wie­der­um ist poli­tisch stär­ker ein­ge­bun­den und berück­sich­tigt neben Sta­bi­li­täts­er­wä­gun­gen auch stand­ort­po­li­ti­sche Aspek­te. Die EZB als Letzt­ent­schei­de­rin muss zwi­schen die­sen Posi­tio­nen ver­mit­teln, was regel­mä­ßig zu Kom­pro­mis­sen führt, die kei­ne der Sei­ten zufriedenstellen.

Kom­mu­ni­ka­ti­ons­re­gu­lie­rung statt Substanzregulierung

Was hier ent­steht, ist eine Form der Regu­lie­rung, bei der Insti­tu­tio­nen Kom­mu­ni­ka­ti­on über Regu­lie­rung pro­du­zie­ren, ohne dass dar­aus unmit­tel­ba­re Ver­hal­tens­än­de­run­gen fol­gen. Die War­nung vor “bei­spiel­lo­sen Risi­ken” erfüllt pri­mär eine Erwar­tungs­steue­rungs­funk­ti­on. Sie signa­li­siert Stake­hol­dern – Poli­tik, Öffent­lich­keit, Märk­ten – dass die Auf­sicht “wach­sam” ist, ohne dass dar­aus kon­kre­te Anfor­de­run­gen abge­lei­tet wer­den müssen.

Die­se Ent­kopp­lung von Rhe­to­rik und Pra­xis ist aus Sicht der Auf­sichts­be­hör­den nicht irra­tio­nal. Die iden­ti­fi­zier­ten Risi­ken – geo­po­li­ti­sche Span­nun­gen, Han­dels­krie­ge, Kli­ma­schocks – lie­gen außer­halb der Steue­rungs­fä­hig­keit von Ban­ken und Regu­lie­rung. Schär­fe­re Kapi­tal­an­for­de­run­gen wären poli­tisch schwer durch­setz­bar, wenn die Insti­tu­te gera­de Rekord­ge­win­ne mel­den und Kapi­tal an Aktio­nä­re aus­schüt­ten. Die gleich­zei­ti­ge Beschrän­kung von SRTs wür­de den Insti­tu­ten fak­tisch die Instru­men­te zur Risi­ko­steue­rung neh­men, ohne dass alter­na­ti­ve Mecha­nis­men bereitstünden.

Das eigent­li­che Pro­blem ist nicht die ein­zel­ne Ent­schei­dung, son­dern das sys­te­mi­sche Mus­ter: Die Auf­sicht simu­liert Hand­lungs­fä­hig­keit durch Risi­kor­he­to­rik, ohne hand­lungs­fä­hig zu sein. Sie warnt, tes­tet, moni­tiert – aber die zen­tra­le Fra­ge bleibt unbe­ant­wor­tet: Wenn Ban­ken sich gegen “bei­spiel­lo­se” exter­ne Schocks wapp­nen sol­len, ihre Risi­ko­trans­fer-Instru­men­te aber nicht mehr nut­zen dür­fen und die Kapi­tal­an­for­de­run­gen nicht stei­gen – was genau sol­len sie dann kon­kret tun?

Kon­se­quen­zen eines regu­la­to­ri­schen Versagens

Die Fol­gen die­ses Auf­sichts­thea­ters sind weit­rei­chend. Ers­tens ent­steht regu­la­to­ri­sche Unsi­cher­heit: Insti­tu­te wis­sen nicht, wel­che Erwar­tun­gen tat­säch­lich sank­ti­ons­be­wehrt sind und wel­che nur kom­mu­ni­ka­ti­ve Funk­ti­on haben. Zwei­tens sinkt die Glaub­wür­dig­keit der Auf­sicht: Wenn dra­ma­ti­sche War­nun­gen kei­ne Kon­se­quen­zen haben, wer­den auch zukünf­ti­ge Signa­le als cheap talk wahr­ge­nom­men. Drit­tens ver­zö­gert sich not­wen­di­ge Anpas­sung: Solan­ge die Auf­sicht warnt statt inter­ve­niert, haben Insti­tu­te kei­nen Anreiz zu kost­spie­li­gen Präventivmaßnahmen.

Am gra­vie­rends­ten ist aber die sys­te­ma­ti­sche Ver­ant­wor­tungs­dif­fu­si­on. Die EZB ver­weist auf exter­ne Risi­ken, die sie nicht steu­ern kann. BaFin und Bun­des­bank pro­du­zie­ren wider­sprüch­li­che Ein­schät­zun­gen, ohne Ver­ant­wor­tung für eine kohä­ren­te Linie zu über­neh­men. Die Poli­tik for­dert “star­ke Ban­ken” und “Finanz­sta­bi­li­tät”, ohne die regu­la­to­ri­schen Instru­men­te bereit­zu­stel­len. Das Ergeb­nis ist ein Sys­tem, in dem alle war­nen, aber nie­mand ver­ant­wort­lich ist.

Die deut­sche und euro­päi­sche Ban­ken­auf­sicht ist insti­tu­tio­nell hoch­dif­fe­ren­ziert, per­so­nell gut aus­ge­stat­tet und metho­disch anspruchs­voll. Aber sie hat die Sub­stanz­re­gu­lie­rung durch Kom­mu­ni­ka­ti­ons­re­gu­lie­rung ersetzt. Das mag kurz­fris­tig poli­tisch ratio­nal sein. Lang­fris­tig ist es ein Ver­sa­gen mit Ansa­ge – eines, das erst sicht­bar wird, wenn die “bei­spiel­lo­sen Risi­ken” tat­säch­lich eintreten.