Ein Mann zwi­schen den Wel­ten – wie Song Ziwen als Brü­cken­bau­er zwi­schen Ost und West die chi­ne­si­sche Poli­tik und Wirt­schaft des 20. Jahr­hun­derts prägte.


In den tur­bu­len­ten Jahr­zehn­ten des frü­hen 20. Jahr­hun­derts, als Chi­na zwi­schen Tra­di­ti­on und Moder­ne, zwi­schen impe­ria­ler Ver­gan­gen­heit und repu­bli­ka­ni­scher Zukunft schwank­te, stand ein Mann im Zen­trum die­ser his­to­ri­schen Trans­for­ma­ti­on: Song Ziwen, inter­na­tio­nal bekannt als T.V. Soong. Sei­ne Geschich­te ist die Geschich­te eines Lan­des im Auf­bruch – und zugleich das fas­zi­nie­ren­de Por­trät einer der ein­fluss­reichs­ten Fami­li­en der chi­ne­si­schen Geschichte.

Die Wur­zeln einer Dynastie

Am 4. Dezem­ber 1894 wur­de Song Ziwen in Shang­hai gebo­ren, in eine Fami­lie, die selbst bereits Sinn­bild für Chi­nas Wan­del war. Sein Vater Char­lie Soong ver­kör­per­te die­se Dua­li­tät per­fekt: erfolg­rei­cher Unter­neh­mer und metho­dis­ti­scher Pre­di­ger zugleich, ver­ein­te er west­li­che Bil­dung mit chi­ne­si­schen Wur­zeln. Die­se Syn­the­se soll­te das Leben sei­ner Kin­der prä­gen und durch sie die Geschich­te eines gan­zen Landes.

Die Soong-Fami­lie ent­wi­ckel­te sich zu einer poli­ti­schen Dynas­tie von bei­spiel­lo­sem Ein­fluss. Songs Schwes­tern hei­ra­te­ten in die Macht­zen­tren Chi­nas ein: Ai-ling mit dem Finanz­mi­nis­ter H.H. Kung, Ching-ling mit dem Vater der chi­ne­si­schen Repu­blik Sun Yat-sen, und Mei-ling mit dem spä­te­ren Prä­si­den­ten Chiang Kai-shek. Die­se stra­te­gi­schen Alli­an­zen schu­fen ein Netz­werk, das über Jahr­zehn­te die Geschi­cke Chi­nas mit­be­stim­men sollte.

Der Har­vard-Mann kehrt zurück

Songs Aus­bil­dung in den USA – ein Wirt­schafts­stu­di­um in Har­vard, das er 1915 abschloss, gefolgt von wei­te­ren Stu­di­en an der Colum­bia Uni­ver­si­ty und prak­ti­scher Erfah­rung bei der Inter­na­tio­nal Ban­king Cor­po­ra­ti­on in New York – stat­te­te ihn mit dem Rüst­zeug aus, das das moder­ne Chi­na so drin­gend benö­tig­te. Als er 1917 nach Chi­na zurück­kehr­te, brach­te er nicht nur west­li­ches Finanz­wis­sen mit, son­dern auch ein Ver­ständ­nis für inter­na­tio­na­le Märk­te und diplo­ma­ti­sche Gepflogenheiten.

Der Ruf kam 1923, als Sun Yat-sen, mitt­ler­wei­le sein Schwa­ger, ihn zum Finanz­mi­nis­ter der Regie­rung in Guang­dong berief. Dies war mehr als nur Nepo­tis­mus – Song hat­te sich bereits als ver­sier­ter Finanz­ex­per­te eta­bliert und ver­füg­te über das inter­na­tio­na­le Anse­hen, das die jun­ge Repu­blik drin­gend benötigte.

Archi­tekt des moder­nen Chinas

Songs Kön­nen zeig­te sich in sei­nen struk­tu­rel­len Refor­men. 1924 war er Mit­be­grün­der der chi­ne­si­schen Zen­tral­bank in Guang­zhou – ein Mei­len­stein in der Moder­ni­sie­rung des chi­ne­si­schen Finanz­sys­tems. Ab 192829, nun Finanz­mi­nis­ter unter Chiang Kai-shek, orches­trier­te er eine bei­spiel­lo­se Serie von Refor­men: die Abschaf­fung des ver­al­te­ten Likin-Sys­tems der Bin­nen­zöl­le, eine umfas­sen­de Steu­er­re­form und die diplo­ma­tisch meis­ter­haf­te Rück­ge­win­nung der Tarif­au­to­no­mie von den west­li­chen Mächten.

Die­se Leis­tun­gen waren nicht nur tech­ni­scher Natur, son­dern zutiefst poli­tisch. Song ver­stand es, Chi­nas Posi­ti­on auf der inter­na­tio­na­len Büh­ne zu stär­ken, indem er wirt­schaft­li­che Moder­ni­sie­rung mit geschick­ter Diplo­ma­tie ver­band. Sei­ne Kon­trol­le über die Finanz­strö­me mach­te ihn zum mäch­tigs­ten Mann der natio­na­lis­ti­schen Kuom­in­tang nach dem auto­ri­tä­ren Chiang Kai-shek – und manch­mal sogar ein­fluss­rei­cher als dieser.

Der inter­na­tio­na­le Staatsmann

In den 1930er und 1940er Jah­ren, wäh­rend der dun­kels­ten Stun­den des japa­nisch-chi­ne­si­schen Krie­ges, bewies Song sei­ne Fähig­kei­ten als Staats­mann. Als Prä­si­dent der Zen­tral­bank, spä­ter als Pre­mier­mi­nis­ter und Außen­mi­nis­ter, war er Chi­nas Gesicht nach außen. Sein inter­na­tio­na­les Netz­werk und sein Pres­ti­ge öff­ne­ten Türen zu drin­gend benö­tig­ten Kre­di­ten und diplo­ma­ti­scher Unterstützung.

Die Iro­nie sei­ner Kar­rie­re lag dar­in, dass gera­de sei­ne west­li­che Prä­gung ihn zum idea­len inter­na­tio­na­len Ver­tre­ter des natio­na­lis­ti­schen Chi­na mach­te. In sei­nen maß­ge­schnei­der­ten Anzü­gen, mit sei­ner Bril­le und sei­nem zurück­hal­ten­den, aber bestimm­ten Auf­tre­ten ver­kör­per­te er das moder­ne, natio­na­lis­ti­sche Chi­na der Kuomintang-Ära.

Ein Leben im Exil

Der Sieg der Kom­mu­nis­ten 1949 been­de­te Songs Rol­le in der chi­ne­si­schen Poli­tik abrupt. Wie so vie­le sei­ner Gene­ra­ti­on emi­grier­te er in die USA, wo er bis zu sei­nem Tod 1971 in San Fran­cis­co leb­te. Doch auch im Exil blieb er eine zen­tra­le Figur der chi­ne­si­schen Dia­spo­ra und ein Sym­bol für die unvoll­ende­te Visi­on eines libe­ra­len, west­lich ori­en­tier­ten Chinas.

Das Ver­mächt­nis eines Brückenbauers

T.V. Soongs Leben spie­gelt die Kom­ple­xi­tät des moder­nen Chi­na wider: die Visi­on einer Nati­on, die öst­li­che Tra­di­tio­nen mit west­li­cher Tech­no­lo­gie ver­bin­den woll­te, dabei aber unter der auto­ri­tä­ren Herr­schaft der natio­na­lis­ti­schen Kuom­in­tang stand. Die Moder­ni­sie­rungs­be­stre­bun­gen gin­gen ein­her mit poli­ti­scher Unter­drü­ckung und einem repres­si­ven Régime. Obwohl Soongs wirt­schaft­li­che Refor­men durch­aus fort­schritt­lich waren, dien­ten sie letzt­end­lich einem Sys­tem, das demo­kra­ti­sche Frei­hei­ten einschränkte.

Sei­ne Geschich­te zeigt, wie indi­vi­du­el­le Bio­gra­fien mit gro­ßen his­to­ri­schen Bewe­gun­gen ver­wo­ben sind, wie Fami­li­en­ban­de poli­ti­sche Dynas­tien for­men kön­nen und wie wirt­schaft­li­che Moder­ni­sie­rung nicht auto­ma­tisch mit poli­ti­scher Libe­ra­li­sie­rung ein­her­geht. T.V. Soong war mehr als ein Finanz­mi­nis­ter – er war ein Archi­tekt der natio­na­lis­ti­schen Moder­ne, des­sen ambi­va­len­tes Erbe die Wider­sprü­che sei­ner Zeit widerspiegelt.