Es gibt Per­sön­lich­kei­ten, deren Lebens­werk sich kaum in eine ein­zel­ne Dis­zi­plin ein­ord­nen lässt, weil ihr Han­deln weit über wirt­schaft­li­che oder poli­ti­sche Gren­zen hin­aus­weist. Sheng Xuan­huai (1844–1916) gehört zu die­ser sel­te­nen Kate­go­rie. Als Unter­neh­mer, Ban­kier, Refor­mer und Staats­mann war er eine Schlüs­sel­fi­gur im spä­ten Kai­ser­reich, ein Mann, der Chi­na im Über­gang zur Moder­ne nicht nur beglei­tet, son­dern aktiv geformt hat.


Gebo­ren in eine Beam­ten­fa­mi­lie, fand Sheng früh sei­nen Platz im Umfeld des Refor­mers Li Hong­zhang. In den 1870er Jah­ren begann er, west­li­che Orga­ni­sa­ti­ons­for­men und Tech­no­lo­gien in den Dienst des Rei­ches zu stel­len – nicht als blind über­nom­me­ne Model­le, son­dern als Instru­men­te zur Stär­kung der chi­ne­si­schen Eigen­stän­dig­keit. Hier zeigt sich bereits das Leit­mo­tiv sei­nes Wir­kens: Offen­heit gegen­über Neu­em, ver­bun­den mit einer tie­fen Loya­li­tät zum Land.

Shengs unter­neh­me­ri­sches Werk ist monu­men­tal. Mit der Grün­dung der Chi­na Mer­chants’ Steam Navi­ga­ti­on Com­pa­ny schuf er die Grund­la­ge einer moder­nen Han­dels­flot­te. Er bau­te das Tele­gra­phen­netz aus und leg­te mit Tex­til­fa­bri­ken und Eisen­wer­ken den Grund­stein für eine indus­tri­el­le Basis. Die­se Pro­jek­te waren nicht bloß ein­zel­ne Unter­neh­mun­gen, son­dern Bau­stei­ne einer kohä­ren­ten Visi­on: Chi­na soll­te aus der Defen­si­ve tre­ten und wirt­schaft­lich selbst­be­wusst agie­ren können.

Beson­ders prä­gend war Shengs Rol­le als Ban­kier. 1897 rief er mit kai­ser­li­cher Geneh­mi­gung die Impe­ri­al Bank of Chi­na ins Leben – die ers­te chi­ne­si­sche Geschäfts­bank nach west­li­chem Mus­ter, aus­ge­stat­tet mit eige­ner Noten­aus­ga­be und inter­na­tio­na­ler Reich­wei­te. Damit leg­te er das Fun­da­ment für ein markt­ori­en­tier­tes Finanz­sys­tem, das nicht mehr allein von aus­län­di­schen Insti­tu­tio­nen abhän­gig war. Sheng ver­stand, dass wirt­schaft­li­che Sou­ve­rä­ni­tät ohne ein sta­bi­les und moder­nes Bank­we­sen nicht zu errei­chen war.

Sein Wir­ken erschöpf­te sich jedoch nicht in Wirt­schaft und Finan­zen. Als Grün­der moder­ner Hoch­schu­len wie der Bei­yang-Uni­ver­si­tät und als Weg­be­rei­ter der Jia­o­tong-Uni­ver­si­tä­ten öff­ne­te er Gene­ra­tio­nen von Stu­die­ren­den den Zugang zu zeit­ge­mä­ßer Wis­sen­schaft und Tech­nik. Auch poli­tisch nahm er Ein­fluss, etwa als Minis­ter für Post und Kom­mu­ni­ka­ti­on oder bei den Ver­hand­lun­gen zum Mack­ay-Ver­trag, der die drü­cken­den Pri­vi­le­gi­en aus­län­di­scher Ban­ken abmilderte.

Bemer­kens­wert ist zudem Shengs Hal­tung in Kri­sen­zei­ten. Wäh­rend des Boxer­auf­stands 1900 trat er für eine Poli­tik des „Schut­zes Süd­ost­chi­nas“ ein und ver­hin­der­te damit eine wei­te­re Eska­la­ti­on mit den frem­den Mäch­ten. Sein gesell­schaft­li­ches Enga­ge­ment zeig­te sich schließ­lich in der Grün­dung des Chi­ne­si­schen Roten Kreu­zes, des­sen ers­ter Prä­si­dent er wur­de – ein Aus­druck sei­ner Über­zeu­gung, dass Moder­ni­sie­rung nicht nur Fabri­ken und Ban­ken, son­dern auch sozia­le Insti­tu­tio­nen umfasst.

Als Sheng Xuan­huai 1916 in Shang­hai starb, hin­ter­ließ er ein Werk, das in sei­ner Brei­te ein­zig­ar­tig bleibt. Er war nicht bloß Unter­neh­mer oder Beam­ter, son­dern ein Archi­tekt der chi­ne­si­schen Moder­ne. Die von ihm gegrün­de­ten Insti­tu­tio­nen – Ban­ken, Unter­neh­men, Uni­ver­si­tä­ten – prä­gen das Land bis heu­te. In ihnen lebt die Idee fort, dass Chi­na sei­ne Zukunft durch eige­ne Inno­va­ti­ons­kraft gestal­ten kann.

Shengs Lebens­weg zeigt, wie sehr wirt­schaft­li­cher Prag­ma­tis­mus, insti­tu­tio­nel­ler Auf­bau und gesell­schaft­li­che Ver­ant­wor­tung zusam­men­wir­ken müs­sen, wenn ein Land sei­nen Platz in der Welt behaup­ten will. Dar­in liegt die eigent­li­che Grö­ße die­ses außer­ge­wöhn­li­chen Ban­kiers und Reformers.