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Schon 1958 verglichen Herbert Simon und James March Organisationen mit Regenwürmern – primitiv koordiniert, aber überlebensfähig. Heute zeigt das Bankstil-Framework, wie diese klassischen Erkenntnisse über Organisationsstrukturen zu einem modernen Kompass für die Banking-Evolution werden. Eine Analyse der Kontinuität organisationstheoretischen Denkens.
In den späten 1950er Jahren wagten Herbert Simon und James March eine ungewöhnliche biologische Metapher: Organisationen, schrieben sie, ähnelten “mehr einem Regenwurm als einem Affen” – primitiv in ihrer Koordination, aber dennoch funktionsfähig[1]… Eine biologische Analogie könnte hier angeführt werden, wenn sie nicht zu wörtlich oder zu ernst genommen wird. Organisationen sind Ansammlungen interagierender Menschen. Sie verkörpern die … Continue reading. Diese scheinbar abfällige Bemerkung enthielt bereits den Keim einer revolutionären Erkenntnis: dass organisatorische Perfektion weder möglich noch notwendig ist, und dass die Stärke von Organisationen gerade in ihrer Fähigkeit zur kontextuellen Anpassung liegt.
Mehr als sechzig Jahre später manifestiert sich diese Erkenntnis in einem überraschend praktischen Anwendungsfall: dem Bankstil-Framework. Was auf den ersten Blick als branchenspezifisches Strategiewerkzeug erscheint, erweist sich bei näherer Betrachtung als moderne Übersetzung klassischer organisationstheoretischer Prinzipien. Die Kontinuität des Denkens ist verblüffend – und lehrreich.
Die Weisheit der Unperfektion
Simon und March’ zentrale Erkenntnis lag in der Ablehnung des rational-optimierenden Organisationsmodells. Statt nach der einen besten Lösung zu suchen, beschrieben sie Organisationen als adaptive Systeme, die unter “Grenzen der Rationalität” operieren. Diese Grenzen sind nicht Schwächen, sondern strukturbildende Elemente: Sie zwingen Organisationen dazu, stabile Kernprozesse zu entwickeln und gleichzeitig flexible Anpassungsmechanismen zu schaffen.
Das Bankstil-Framework nimmt diese Logik auf und wendet sie konsequent an. Statt einem universellen Digitalisierungsimperativ zu folgen, macht es die kontextuelle Anpassung zum strategischen Prinzip. Eine Sparkasse im Allgäu kann ihren “Originalstil” durchaus in der bewussten Weiterentwicklung traditioneller Stärken finden – nicht als Rückschritt, sondern als authentische Antwort auf die Herausforderungen ihrer spezifischen Umwelt.
Strukturelle Intelligenz
Die organisationstheoretische Unterscheidung zwischen “Koordination durch Planung” und “Koordination durch Feedback” findet ihre zeitgemäße Entsprechung in der Bankstil-Logik. Wo Simon und March zwischen stabilen Standardprozessen und flexiblen Reaktionsmustern unterschieden, differenziert das Framework zwischen verschiedenen strategischen Entwicklungspfaden: digitale Plattformen, regionale Verwurzelung, spezialisierte Exzellenz oder Community Banking.
Entscheidend ist dabei die strukturelle Intelligenz beider Ansätze: Sie bieten Orientierung, ohne Ergebnisse vorzugeben. Die sieben Dimensionen des Bankstil-Frameworks funktionieren wie die organisationstheoretischen Koordinationsmechanismen – als strukturierender Rahmen, der verschiedene Lösungen ermöglicht, statt eine zu erzwingen.
Die Produktivität des Widerspruchs
Besonders aufschlussreich ist der Umgang beider Ansätze mit organisatorischen Dilemmata. Simon und March erkannten früh, dass die für Spezialisierung vorteilhafte Abteilungsgliederung nach Verfahrensarten oft mit höheren Koordinationskosten einhergeht, während die zielorientierte Gliederung Effizienzvorteile der Spezialisierung opfert. Statt diesen Widerspruch aufzulösen, machten sie ihn zur Grundlage situativer Organisationsgestaltung.
Das Bankstil-Framework operiert mit derselben Logik. Es akzeptiert, dass “zehn Vorstände die gleichen Bewertungsfragen beantworten und zehn verschiedene Ergebnisse” herauskommen – und erklärt dies zur größten Stärke des Systems. Diese Vielfalt ist produktiv, weil sie verhindert, dass Organisationen sich an abstrakten Optimalmodellen orientieren, statt an den Gegebenheiten ihrer spezifischen Situation.
Zeitlose Prinzipien, zeitgemäße Anwendung
Die Kontinuität zwischen klassischer Organisationstheorie und modernem Bankstil-Framework zeigt: Gute Organisationstheorie altert nicht. Die Herausforderungen mögen sich ändern – von der Industrieorganisation der 1950er Jahre zur Digitalisierung des Banking –, die strukturellen Prinzipien bleiben relevant.
Beide Ansätze teilen das Verständnis, dass Organisationen keine Maschinen sind, die optimiert werden können, sondern lebende Systeme, die sich kontinuierlich an verändernde Bedingungen anpassen müssen. Beide erkennen, dass diese Anpassung nicht durch zentrale Planung, sondern durch die intelligente Kombination stabiler Strukturen und flexibler Mechanismen gelingt.
Die Renaissance des Kontextuellen
In einer Zeit, die von Standardisierung und Skalierung geprägt ist, wirkt die Betonung kontextueller Lösungen fast revolutionär. Doch sowohl Simon/March als auch das Bankstil-Framework zeigen: Gerade in komplexen, sich schnell verändernden Umwelten sind universelle Lösungen zum Scheitern verurteilt. Die Zukunft gehört Organisationen, die ihre spezifischen Stärken kennen und diese authentisch weiterentwickeln.
Das Bankstil-Framework macht dies praktisch greifbar: “Originalstil” bedeutet nicht “digital first”, sondern “authentisch zu uns passend”. Diese scheinbar simple Erkenntnis ist das Ergebnis jahrzehntelanger organisationstheoretischer Entwicklung – vom Regenwurm zum maßgeschneiderten Organisationskompass.
Der Wert des Bewährten
Die Analyse zeigt: Innovation in der Organisationsgestaltung entsteht nicht durch die Erfindung völlig neuer Prinzipien, sondern durch die kreative Anwendung bewährter Erkenntnisse auf neue Herausforderungen. Das Bankstil-Framework beweist, dass klassische Organisationstheorie hochaktuell bleibt, wenn sie intelligent auf konkrete Problemstellungen angewendet wird.
Vielleicht ist das die wichtigste Lektion: In einer Welt des permanenten Wandels liegt Stärke nicht in der ständigen Neuerfindung, sondern in der klugen Weiterentwicklung des Bewährten. Vom Regenwurm zur authentischen Bank – der Weg ist länger und konsistenter, als man denken könnte.
Quellen:
Verhaltenswissenschaftliche Entscheidungstheorie
Jede Organisation besitzt ein Repertoire an Programmen, mit dem es als Kollektiv in einer zielorientierten Art die verschiedenen Situationen bewältigen kann. Wenn neue Situationen eintreten, so wird die Bildung eine völlig neuen Programms aus detaillierten Elementen selten ins Auge gefasst. In den meisten Fällen findet eine Anpassung durch eine Rekombination bereites vorhandener Programme der niedrigeren Ebene statt. Ein wichtiges Ziel der Standardidisierung ist es, den Bereich der Situationen, die man durch eine Kombination und Rekombination eine relativ kleinen Anzahl von elementaren Programmen bewältigen kann, so weit wie möglich zu vergrössern. Die Beschränkung der Tätigkeit der höheren Ebene auf die Rekombination von Programmen und nicht auf die detaillierte Konstruktion neuer Programme aus kleinen Elementen ist vom kognitiven Standpunkt aus überaus wichtig. Unsere Behandlung des rationalen Verhaltens basiert auf der These, dass die „reale” Situation fast immer viel zu komplex ist, als dass man sie im Detail bewältigen könnte. Wenn wir uns in der Hierarchie nach oben bewegen, so wird der Bereich wechselseitiger Angelegenheiten, über den ein Individuum Überblick hat, immer grösser und komplexer. Die wachsende Komplexität des Problems kann nur mit den begrenzten Kräften des Individuums bewältigt werden, wenn es in einer allgemeineren und aggregierten Form behandelt wird. Ein Weg, um dies zu erreichen, liegt in der Begrenzung der Handlungsalternativen, die bei der Rekombination eines Repertoires von Programmen herangezogen werden.
Wir wollen Koordination, die auf im voraus ausgearbeiteter Gesamtplanung beruht, Koordination durch Planung, und Koordination die Transmission neuer Informationen involviert, Koordination durch Feedback nennen. Je stabiler und prognostizierbarer die Situation ist, desto mehr wird man Koordination durch Planung heranziehen; je variabler und unvorhersagbarer die Situation ist, desto mehr wird man auf Koordination und Feedback zurückgreifen.
Die Fähigkeit einer Organisation, eine komplexe, höchst interdependente Struktur von Aktivitäten zu erhalten, wird zum Teil durch ihre Kapazität zur Bewältigung der für die Koordination erforderlichen Kommunikation begrenzt. Je grösser die Effizienz der Kommunikation in der Organisation ist, desto grösser ist das Zugeständnis an die Interdependenz.
Einige Schwierigkeiten der klassischen Theorie. In diesem Modell des rational handelnden Menschen treten Schwierigkeiten auf. Erstens trifft der Begriff der Rationalität nur im Falle der Sicherheit auf das Modell zu. Besonders im Falle der Unsicherheit kann man überhaupt nicht von Rationalität sprechen. …
Eine zweite Schwierigkeit in den Modellen des rational handelnden Menschen folgt aus drei wesentlichen Anforderungen an den Entscheidungsmechanismus. Es wird angenommen, (1), dass alle Entscheidungsalternativen „gegeben” sind; dass alle mit jeder Alternative verbundenen Konsequenzen bekannt sind (und zwar sowohl im Falle der Sicherheit, des Risikos und der Unsicherheit; (3) dass der rational handelnde Mensch eine vollständige Nutzenordnung (oder kardinale Funktion) aller möglichen Konsequenzen hat. Von diesen Erfordernissen kann man kaum in diesem normativen Modell absehen – ein Modell, welches dem Menschen sagt, wie er eigentlich entscheiden sollte. Wenn nämlich dem rational handelnden Menschen Informationen fehlen, hätte er vielleicht anders entschieden, „wenn er nur gewußt hätte”. Bestenfalls ist er „subjektiv” rational, nicht aber „objektiv” rational. Der Begriff der objektiven Rationalität geht jedoch davon aus, dass es eine objektive Realität gibt, in der es „reale” Konsequenzen und „reale” Nutzenwerte gibt. Wenn dies so ist, dann ist es eigentlich unverständlich, warum man nur eine beschränkte Kenntnis der Konsequenzen annimmt, und warum eine beschränkte Kenntnis der Alternativen und Nutzenwerte in diesem Modell der Rationalität ignoriert wird
Eine Organisation ist mit dem Problem des Archimedes konfrontiert: damit sich eine Organisation adaptiv verhalten kann, benötigt sie einige feste Regeln und Verfahrensweisen, die sie bei der Ausführung ihrer adaptiven Praktiken anwenden kann. Daher sind die Programme der Organisation zur Ausführung ihrer Aufgaben zu jedem gegebenen Zeitpunkt ein Teil ihrer Struktur, aber der am wenigsten stabile Teil. Etwas stabiler sind die Umstellungsregeln, die das eine Programm und wann das andere verwendet wird. Noch stabiler sind die Verfahrensweisen, die sie zur Entwicklung, Elaboration, Institution und Revision der Programme verwendet.
References
↑1 | … Eine biologische Analogie könnte hier angeführt werden, wenn sie nicht zu wörtlich oder zu ernst genommen wird. Organisationen sind Ansammlungen interagierender Menschen. Sie verkörpern die größten Ansammlungen in unserer Gesellschaft, die in gewisser Hinsicht einem zentralen Koordinationssystem ähneln. Wir wollen allerdings einräumen, dass diese Koordinationssysteme weitaus nicht bis zu dem Grad entwickelt sind, wie dies beim zentralen Nervensystem höherer biologischer Organismen der Fall ist – d. h. Organisationen ähneln mehr einem Regenwurm als einem Affen. Nichtsdestoweniger kennzeichnet die große Spezifität der Struktur und Koordination in einer Organisation – im Gegensatz zu den diffusen und variablen Beziehungen zwischen Organisationen und zwischen unorganisierten Individuen – die individuelle Organisation als eine soziologische Einheit, die ihrer Bedeutung nach mit dem individuellen Organismus in der Biologie vergleichbar ist. |
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