Von Ralf Keuper

Die Spar­kas­sen und Genos­sen­schafts­ban­ken ver­kör­per­ten über mehr als 100 Jah­re einen Orga­ni­sa­ti­ons­ty­pus, der nahe­zu per­fekt an die Bedürf­nis­se der Kun­den wie auch an die Zeit­um­stän­de ange­passt war. 

War­um das so ist bzw. war, zei­gen zwei Vor­trä­ge aus dem Jahr 2005. Anlass war eine Fach­ta­gung, die gemein­sam vom Frei­herr-vom-Stein-Insti­tut und dem Insti­tut für Genos­sen­schafts­we­sen, bei­de an der Uni Müns­ter ange­sie­delt, durch­ge­führt wur­de. Gegen­stand der Tagung waren die Zukunfts­per­spek­ti­ven von Spar­kas­sen und Genossenschaftsbanken. 

Die Situa­ti­on der Spar­kas­sen erläu­te­re sei­ner­zeit Chris­ti­an Tie­mann vom Frei­herr-vom-Stein-Insti­tut. Den Kern­auf­trag der Spar­kas­sen sah Tie­mann in der kom­mu­na­len Daseins­vor­sor­ge, deren Zweck­mä­ßig­keit zum dama­li­gen Zeit­punkt von den pri­va­ten Ban­ken zuneh­mend infra­ge gestellt wurde. 

Die Not­we­nig­keit einer kom­mu­na­len Daseins­vor­sor­ge im kre­dit­wirt­schaft­li­chen Bereich wird mit dem Argu­ment in Zwei­fel gezo­gen, dass auch ohne die Spar­kas­sen eine aus­rei­chen­de Markt­durch­drin­gung von pri­va­ter Sei­te sicher­ge­stellt sei. Der Bun­des­ver­band deut­scher Ban­ken schließ­lich lei­tet aus der inter­na­tio­na­len Per­spek­ti­ve eine Not­wen­dig­keit zur Kon­so­li­die­rung des deut­schen Ban­ken­mark­tes ab: Auf­grund der staat­li­chen Inter­ven­ti­on – so die Argu­men­ta­ti­on – sei es nicht mög­lich, auf dem hei­mi­schen Markt inter­na­tio­nal kon­kur­renz­fä­hi­ge Betriebs­grö­ßen zu erreichen. 

Argu­men­te, wie sie einem auch heu­te noch hin und wie­der begegnen. 

Der Refe­rent wies auf die Bedeu­tung der Spar­kas­sen für die Kre­dit­ver­sor­gung, ins­be­son­de­re der mit­tel­stän­di­schen Wirt­schaft, hin:

Bei­spiels­wei­se ver­mel­det der Deut­sche Spar­kas­sen- und Giro­ver­band für das Jahr 2004 bei den Unter­neh­mens­kre­di­ten den beein­dru­cken­den Markt­an­teil von 43,2 Pro­zent. Nimmt man hin­zu, dass ver­schie­dent­lich ein Rück­zug pri­va­ter Groß­ban­ken aus der Kre­dit­ver­ga­be an den Mit­tel­stand beob­ach­tet wur­de, spricht das für die Berech­ti­gung des Versorgungsauftrags. 

Der öffent­li­che Auf­trag sei für die Spar­kas­sen Limi­tie­rung aber auch Legi­ti­mie­rung. Die Limi­tie­rung, wie sie das Regio­nal­prin­zip mit sich bringt, könn­te durch ver­stärk­te Koope­ra­tio­nen der Spar­kas­sen unter­ein­an­der gemil­dert werden: 

Als wesent­li­cher Reak­ti­ons­me­cha­nis­mus hat sich die Koope­ra­ti­on inner­halb der Spar­kas- senfi­nanz­grup­pe erwie­sen. Das fängt an beim gemein­sa­men Siche­rungs­sys­tem und den zen­tra­len Ser­vice­ein­rich­tun­gen. Beson­ders bedeut­sam ist auch der ein­heit­li­che Markt­auf­tritt unter der gemein­sa­men Mar­ke „Spar­kas­se“

Die Aus­gangs­po­si­ti­on der Genos­sen­schafts­ban­ken ver­deut­lich­te Dirk Lam­precht vom Insti­tut für Genos­sen­schafts­we­sen. Die Grün­dung der ers­ten Genos­sen­schafts­ban­ken war eine Reak­ti­on auf die Ver­nach­läs­si­gung des Klein­ge­wer­bes durch die pri­va­ten Ban­ken und die Sparkassen:

Für die kom­mer­zi­el­len Ban­ken war es siche­rer, sich auf die Finan­zie­rung von Groß­pro­jek­ten zu kon­zen­trie­ren. Auch die in die­ser Zeit ent­stan­de­nen Spar­kas­sen brach­ten für das Klein­ge­wer­be kaum Hil­fe. Sie tru­gen zwar zur Spar­nei­gung der Arbei­ter­fa­mi­li­en bei, inves­tier­ten die erhal­te­nen Ein­la­gen aber – gesetz­lich oder sat­zungs­mä­ßig gebun­den – in Hypo­the­ken, Staats- papie­re oder Kom­mu­nal­kre­di­te, so dass der Kre­dit­ver­ga­be an Gewer­be­trei­ben­de Gren­zen gesetzt waren. 

Dem setz­ten die ers­ten Genos­sen­schafts­ban­ken ein eige­nes (Geschäfts-)Modell, eine eige­ne Phi­lo­so­phie entgegen:

Die ört­li­chen Mono­po­le der Geld­ver­lei­her wur­den durch die Vor­läu­fer der heu­ti­gen Genos­sen­schafts­ban­ken angreif­bar. Die Idee bestand dar­in, zu koope­rie­ren: die Kre­dit­su­chen­den schlos­sen sich zu einer Gemein­schaft zusam­men und unter­stütz­ten sich gegen­sei­tig bei der Finan­zie­rung. Als Gemein­schaft konn­ten die Mit­glie­der eine höhe­re Boni­tät auf­wei­sen und sich gegen­sei­tig kon­trol­lie­ren. Der ent­schei­den­de Vor­teil liegt dar­in, dass die Mit­glie­der sich unter­ein­an­der gut kann­ten und über die per­sön­li­chen Ver­hält­nis­se Bescheid wuss­ten. Hier­durch konn­ten die Infor­ma­ti­ons­kos­ten bezie­hungs­wei­se die Moni­to­ring­kos­ten, wel­che für die Geschäfts­ban­ken sehr hoch waren, dras­tisch gesenkt wer­den. Vor­aus­set­zung hier­für war ledig­lich, dass der Geschäfts­be­zirk über­schau­bar gehal­ten wurde. 

Ins­be­son­de­re die iden­ti­täts­stif­ten­den Cha­rak­te­ris­ti­ka des Genos­sen­schaft­li­chen Orga­ni­sa­ti­ons­mo­dells, wie das Demo­kra­tie­prin­zip, sor­gen als Allein­stel­lungs­merk­mal wei­ter­hin für die nöti­ge Wettbewerbsfähigkeit. 

Die Ver­tre­ter der Genos­sen­schafts­ban­ken räum­ten ein, dass ihnen die Spar­kas­sen beim Umbau in eine moder­ne Netz­werk­or­ga­ni­sa­ti­on vor­aus waren. In den Volks­ban­ken wur­de zu dem Zeit­punkt noch kon­tro­vers über die Fusi­on der DZ Bank und der WGZ Bank dis­ku­tiert, die erst vor weni­gen Jah­ren voll­zo­gen wer­den konn­te. Die Spar­kas­sen hat­ten auch Jah­re vor den Genos­sen­schafts­ban­ken ihre Rechen­zen­tren in der Finanz Infor­ma­tik zusammengelegt. 

Im Jahr 2005 waren GAFA, war das Smart­phone, waren Apple Pay, Goog­le Pay und Ali­pay noch weit weg; von Digi­ta­len Wäh­run­gen und der Block­chain ganz zu schwei­gen. Die Finanz­kri­se 2008 brach­te die Kri­tik der Pri­vat­ban­ken an dem Auf­trag der Spar­kas­sen zum Ver­stum­men. Deut­sche Bank und Com­merz­bank sind seit­dem mit sich selbst, d.h. mit den Defi­zi­ten ihres eige­nen Geschäfts­mo­dells wie auch der Geschäfts­po­li­tik beschäftigt. 

Den­noch hat sich das Wett­be­werbs­um­feld für die Spar­kas­sen und Genos­sen­schafts­ban­ken nicht ver­bes­sert. Die Gren­zen ihres Orga­ni­sa­ti­ons­mo­dells wer­den immer offen­kun­di­ger, das gilt vor allem für die Spar­kas­sen. Die typi­schen Defi­zi­te dezen­tra­ler Ver­bün­de, wie in Form lan­ger Ent­schei­dungs­we­ge und ande­rer Dys­funk­tio­nen, füh­ren dazu, dass die Reak­ti­ons­zei­ten nicht mehr zum Tem­po der Kun­den wie auch der neu­en Mit­be­wer­ber pas­sen. Bei den Spar­kas­sen sicht­bar am zöger­li­chen Bei­tritt zu pay­di­rekt sowie an der man­geln­den Unter­stüt­zung von Yomo und YES. Die Dis­kus­si­on um eine Super­lan­des­bank lässt man­chen Beob­ach­ter dar­an zwei­feln, ob die Spar­kas­sen tat­säch­lich ver­stan­den haben, in wel­chem Markt­um­feld sie sich mitt­ler­wei­le bewe­gen – Stich­wort Digi­ta­le Platt­for­men und Ökosysteme. 

Die Zahl der Ent­schei­dungs­stu­fen, der am Ent­schei­dungs­pro­zess betei­lig­ten Per­so­nen, Gre­mi­en und Ver­bund­un­ter­neh­men ist zu groß. Die struk­tu­rel­len Wider­sprü­che las­sen sich nicht mehr wie in der Ver­gan­gen­heit durch inter­ne Ver­fah­ren, den Kon­takt zur Poli­tik sowie durch die Mit­tel des Lob­by­is­mus übertünchen. 

In Dyna­mik von Netz­werk­or­ga­ni­sa­tio­nen – Ent­wick­lung, Evo­lu­ti­on, Struk­tu­ra­ti­on schreibt Jörg Sydow, dass ver­schie­de­ne Fak­to­ren zusam­men kom­men müs­sen, um in einer Netz­werk­or­ga­ni­sa­ti­on einen Kurs­wech­sel aus­lö­sen zu können: 

In der­ar­ti­gen ‚con­junc­tures‘ inter­agie­ren ver­schie­de­ne Ein­flüs­se und ent­fal­ten ihre Rele­vanz für eine kon­kre­te Ver­än­de­rung – hier der Netz­werk­or­ga­ni­sa­ti­on – jedoch nur dann, wenn die Akteu­re sie – unter Bezug­nah­me auf die im Netz­werk, aber auch in der ein­zel­nen Orga­ni­sa­ti­on und im umge­ben­den orga­ni­sa­tio­na­len Feld herr­schen­den Regeln und ver­füg­ba­ren Res­sour­cen – in ihrem prak­ti­schen Han­deln auf­grei­fen (vgl. Gid­dens 1984, S. 251). Erst dann wer­den struk­tu­rel­le Wider­sprü­che – zum Bei­spiel jene zwi­schen Regeln der Signi­fi­ka­ti­on und der Legi­ti­ma­ti­on in einer Bran­che – zum tat­säch­li­chen Anlass für einen epi­so­dischen Wan­del. Erst so wird womög­lich der Grund gelegt für die Her­aus­bil­dung eines Pfa­des bzw. einer Tra­jek­to­rie, der bzw. die sich erst in Fol­ge eines gewis­sen Momen­tums ver­fes­tigt. Im Ergeb­nis lässt sich – für die Epi­so­de – ein bestimm­ter Typus sozia­len Wan­dels, hier eines inter­or­ga­ni­sa­tio­na­len Netz­werks (dop­pelt ein­ge­bet­tet in ihre Mit­glieds­or­ga­ni­sa­tio­nen einer­seits und ihr orga- nisa­tio­na­les Feld ande­rer­seits), in Hin­blick bei­spiels­wei­se auf sei­ne Inten­si­tät oder Exten­si­tät oder auf sei­ne Kon­nek­ti­vi­tät oder Unver­bun­den­heit konstatieren. 

Aus­schlag­ge­bend ist das Zusam­men­spiel von Fel­dern, Netz­wer­ken und Organisationen. 

Die dyna­mi­schen Ent­wick­lun­gen auf den drei Ebe­nen: Orga­ni­sa­ti­on, Netz­werk und Feld, sind dabei nicht unab­hän­gig von­ein­an­der, son­dern, dar­auf ver­weist die Idee der Koevo­lu­ti­on sehr ein­drück­lich, mit­ein­an­der viel­fach ver­schränkt. Zum Bei­spiel ist aus koevo­lu­tio­nä­rer Per­spek­ti­ve davon aus­zu­ge­hen, dass die Ent­wick­lung der Netz­werk­un­ter­neh­mun­gen (Ebe­ne der Orga­ni­sa­ti­on) die Evo­lu­ti­on des Unter­neh­mungs­netz­werks (Ebe­ne des Netz­werks) beein­flusst, inso­fern eine wich­ti­ge ‚initi­al con­di­ti­on‘ für die Netz­werk­ent­wick­lung ist. Bei­spiels­wei­se mag es einer auf eine Kun­den­grup­pe geziel­ter aus­ge­rich­te­ten Abtei­lung bes­ser gelin­gen, Kun­den als Dienst­leis­ter zu ‚inte­grie­ren‘ (vgl. dazu Grün/​Brunner 2002) und auf die­se Wei­se die Bezie­hun­gen zu wich­ti­gen ‚down stream‘-Partnern koope­ra­ti­ver zu gestal­ten. Umge­kehrt hat die Netz­werk­ent­wick­lung (Rück-) Wir­kun­gen nicht nur auf die Ent­wick­lung dya­di­scher Inter­or­ga­ni­sa­ti­ons-bezie­hun­gen, son­dern auch auf die orga­ni­sa­tio­na­le Evo­lu­ti­on der ein­zel­nen Netzwerkmitglieder. 

Je nach­dem, in wel­chem Feld sich Unter­neh­men bewe­gen, sind in Zei­ten eines tief­grei­fen­den Wan­dels, wie durch die fort­schrei­ten­de Digi­ta­li­sie­rung und die Medi­en der Koope­ra­ti­on ver­an­lasst, Anpas­sun­gen an der Orga­ni­sa­ti­on wie auch des Netz­wer­kes nötig. Die vor­han­de­nen Struk­tu­ren müs­sen ana­ly­siert und den neu­en Feld- bzw. Umwelt­be­din­gun­gen ange­passt wer­den, um anschluss­fä­hig zu bleiben. 

Wie­vie­le Spar­kas­sen und Genos­sen­schafts­ban­ken wer­den über­haupt noch benö­tigt, wel­che Stu­fen, Gre­mi­en und Part­ner­un­ter­neh­men sind über­flüs­sig, wel­che Koope­ra­tio­nen müs­sen geschlos­sen oder auf­ge­löst wer­den und wel­che Geschäfts­fel­der soll­ten auf­ge­ge­ben wer­den? Wo sind wir über­haupt noch anschluss­fä­hig? Zu wel­chen Netz­wer­ken und Öko­sys­te­men, die für unser Geschäft rele­vant sind, haben wir Zugang? Könn­ten wir sie evtl. umge­hen, und wenn ja, was ist dazu nötig? Brau­chen wir eine eige­ne Direkt­bank bzw. Online-Bank? Ist die Daten­ge­nos­sen­schaft ein Modell mit Zukunft? Wie­viel Geschäft deckt unser Netz­werk – auch im posi­tivs­ten Fall – über­haupt noch ab? Wel­che Rol­le kön­nen wir im Inter­net der Din­ge über­neh­men? Ist dort über­haupt Platz und Bedarf für uns? Wel­chen Stel­len­wert hat die Regi­on künf­tig noch für die Kun­den und für uns? Wie kön­nen wir uns wie­der in den digi­ta­len All­tag der Kun­den vor Ort ein­klin­ken? Wel­che Vor­stel­lun­gen unse­re Rol­le und Bedeu­tung für den Wirt­schafts­kreis­lauf betref­fend, müs­sen wir begraben?